Wachsendes Engagement! – akinda Jahresrückblick 2024

Das Interesse an der Übernahme einer ehrenamtlichen Einzelvormundschaft für einen unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten war im letzten Jahr so groß wie lange nicht mehr. In vier Schulungsdurchgängen konnten wir 80 neue Ehrenamtliche auf das anspruchsvolle Vormundschaftsamt vorbereiten. Insgesamt 75 Personen sind im laufenden Jahr durch die Familiengerichte auch als Vormund:in bestellt worden; viele haben zudem am Jahresende noch auf den Gerichtsbeschluss gewartet. 48 Vormundschaften endeten 2024 durch Volljährigkeit. Zum Jahresende zählten wir, inklusive der bereits länger bestehenden Vormundschaften, 90 aktive Vormundschaften – so viele wie nie zuvor bei akinda. Und wir wissen: Jeder einzelne dieser jungen Menschen profitiert davon, dass sich jemand kümmert, einsetzt, mit ihnen gemeinsam neue Wege findet.

 Was wir tun – und warum

akinda begleitet ehrenamtliche Vormund:innen, die Verantwortung für minderjährige Geflüchtete übernehmen. Diese jungen Menschen haben oft traumatisierende Erfahrungen hinter sich und müssen sich in einem völlig fremden System zurechtfinden. Ein:e Vormund:in ist dann viel mehr als nur eine rechtliche Vertretung: Sie oder er wird zur Vertrauensperson, zur Fürsprecherin, zum sicheren Hafen im Alltag. Unsere Aufgabe ist es, diese Vormund:innen zu schulen, zu begleiten und zu vernetzen. Denn gute Vormundschaft lebt von Austausch, Wissen und einem starken solidarischen Miteinander. Viele Minderjährige waren extrem froh, dass sie endlich eine:n Vormund:in an die Seite bekommen haben, der/die sich persönlich kümmert und essenzielle Dinge auf den Weg bringen kann. Wie zum Beispiel einen Asylantrag stellen, für einen passenden Platz in einer Jugendhilfeeinrichtung sorgen, ein Bankkonto eröffnen und den ersehnten Vertrag für das Fit- nessstudio abschließen. Die notorisch überlastete Berliner Amtsvormundschaft mit mehr als 50 zu versorgenden Mündeln pro Mitarbeiter:in hat nicht die Möglichkeit, sich immer effektiv um jede:n einzelne:n zu kümmern.

Berliner System weiter überlastet

Im letzten Jahr sind insgesamt 1.748 unbegleitete Minderjährige neu in Berlin angekommen. Gegenüber den beiden Vorjahren mit jeweils über 3.000 Neuankünften stellt dies zwar einen spürbaren Rückgang dar. Dennoch war das gesamte Berliner Aufnahme- und Versorgungssystem, nicht nur die Amtsvormundschaft, weiterhin massiv überlastet. Akute Probleme der Minderjährigen waren und sind die fehlenden Plätze in qualitativ gut ausgestatteten Einrichtungen der stationären Jugendhilfe. Dies hat dazu geführt, dass viele Minderjährige über Monate hinweg, teilweise bis zu zwei Jahre (!) in den Inobhutnahme- und Clearing-Einrichtungen verbleiben mussten. Diese zumeist sehr großen Einrichtungen zeichnen sich durch herabgesenkte Standards bei der Betreuung und der personellen Ausstattung aus. Oft gab es Beschwerden über schlechtes Essen, fehlende pädagogische Unterstützung und unerfahrene Mitarbeiter:innen. Mitte des Jahres installierte das Land Berlin mit dem „ZUP“ ein berlinweites Zentrales Unterbringungs- und Platzmanagement. Dieses soll dazu führen, dass die nicht ausreichenden Plätze in der stationären Jugendhilfe zumindest nach Priorität vergeben werden. Allerdings sind die Kriterien wenig transparent, teilweise umstritten und wird das ZUP auch nicht von allen bezirklichen Jugendämtern akzeptiert.

Für die ehrenamtlichen Vormund:innen haben die Mängel des Berliner Versorgungssystems zu vielfältigen Herausforderungen geführt. So stand häufig der Kampf mit der Bürokratie im Mittelpunkt, um die Rechte der Mündel durchzusetzen.

Freude, Hoffnung und Enttäuschung

Für syrische Jugendliche war das Jahresende von besonderer Bedeutung: Der Sturz des Assad-Regimes war für die allermeisten ein beglückendes Ereignis. Endlich konnten sie bei telefonischen Kontakten mit ihren Eltern wieder frei sprechen und mussten nicht mehr Codes benutzen, um die Zensur und das Telefonabhören zu umgehen. Frustration, Enttäuschung und Trauer löste die zeitgleiche Änderung der Visa-Praxis des Auswärtigen Amtes aus: Ohne Vorwarnung wurden die bewährten Sondertermine für den Nachzug von Eltern und Geschwistern abgeschafft. Damit wurde der rechtlich vorgesehene Familiennachzug für ganz viele de facto unmöglich. Denn dieser muss vor der Volljährigkeit abgeschlossen sein – bei Wartezeiten von mehr als eineinhalb Jahren auf einen regulären Botschaftstermin ein Ding der Unmöglichkeit. akinda konnte hier finanziell eine anwaltliche Unterstützung für die Betroffenen bezuschussen, um über gerichtliche Eilanträge den Nachzug doch noch möglich zu machen. Leider hat das Oberverwaltungsgericht Berlin die restriktive Praxis der Botschaften bestätigt. Einige Verfahren sind aktuell noch anhängig. Es bleibt die Hoffnung, doch noch individuelle Lösungen im Einzelfall zu finden.

Netzwerkaktivitäten

Zu einem guten Ankommen in Berlin haben nicht zuletzt die gemeinsam verbrachte Zeit von Ehrenamtlichen und Jugendlichen beigetragen, auch bei Aktivitäten in unserem Netzwerk. Ein Höhepunkt dabei das akinda-Sommerfest in der Regenbogenfabrik mit der schon obligatorischen Challenge der Vormundschaftstandems und zum Jahresabschluss Pizza und Kegeln im Gasthaus Figl. Für die Ehrenamtlichen gab es zum Sommerende eine Bootstour auf der Spree mit dem wunderbaren Unkraut-Kollektiv mit Quiz, Erfahrungsaustausch und viel Spaß.

Die Botschaft lautet Solidarität

Junge Menschen brauchen verlässliche Erwachsene an ihrer Seite. Besonders dann, wenn sie neu in Deutschland sind, wenn sie Flucht und Verlust erlebt haben, wenn sie Schutz suchen und Perspektiven brauchen. akinda sorgt dafür, dass diese Begegnungen möglich werden. Dass Menschen Verantwortung füreinander übernehmen. Dass niemand allein durch das Dickicht der Bürokratie und des Alltags muss. Das ehrenamtliche Engagement als Vormund:in für einen unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten ist gerade in den Zeiten des erstarkenden Rassismus und Rechtsextremismus eine hervorragende Möglichkeit, sowohl einen einzelnen Menschen konkret zu unterstützen als auch ein gesamtgesellschaftliches Zeichen für Solidarität und eine freie, offene Gesellschaft zu setzen.

Dafür danken wir allen engagierten Ehrenamtlichen. Gemeinsam machen wir Berlin zu einem Ort, an dem Ankommen gelingen kann.

Zurück
Zurück

Jetzt Vormund*in werden! Infoabend mit Sandra Scheeres, Senatorin a.D. und (ehemalige) Vormundin

Weiter
Weiter

AfD stellt Therapieangebote von XENION und Zentrum Überleben in Frage